(28.11.2020)
„Absolut unverständlich und aus Sicht eines freien Warenverkehrs in Europa nicht akzeptabel“ – so bewerten vier Branchenverbände für Spedition und Logistik die jetzt amtlich veröffentlichten Maßnahmen zu Transit-Nachtfahrten der Tiroler Landesregierung. der LBS – Landesverband Bayerischer Spediteure e.V., der Landesverband Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT) e.V., der Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg e.V. und der BGL Süd e.V. kritisieren scharf, dass Tirol ab 01.01.2021 den gesamte Schwerlastverkehr im Transit auf der Inntalautobahn nachts verbietet* – es sei denn, die Fehrzeuge nutzen einem Elektroantrieb, Wasser-Brennstoffzellentechnologie, Erdgas oder einen Diesel-E-Hybrid-Motor, der 50 Kilometer-Fahrten ausschließlich mit Elektroantrieb ermöglicht.
Dagegen sind Lkw mit Euro-6-Motoren künftig ebenfalls zum Stillstand verurteilt. Weil sich die Verbotszone von der Staatsgrenze bei Kufstein bis zur Ausfahrt Zirl erstreckt, sind damit faktisch auch nächtliche Fahrten auf der Brennerautobahn unmöglich. Dabei handelt es sich um die derzeit modernste und umweltfreundlichste Antriebsform, die in nennenswerter Anzahl verfügbar ist – „und die aus gutem Grund vom bisherigen Nachtfahrverbot ausgenommen ist“, wie die Geschäftsführer der vier Verbände. Schon jetzt finden 3 von 4 Fahrten im Tirol-Transit mit Euro6-Lkw statt.
Die genannten Alternativen gelten aus Sicht beider Verbände aus zwei Gründen als ein „Feigenblatt-Argument“:
- Marktreife und einsatzfähige Schwer-Lkw mit Elektro- oder Brennstoffzellen-Antrieb sind derzeit nicht verfügbar. Die wenigen Fahrzeuge kann man „in Europa an zwei Händen abzählen“. Auch die anderen zulässigen Alternativen decken nur einen verschwindend kleinen Anteil des Bedarfs ab.
- Für den lokalen Verkehr sowie für Transporte, die In der „ inneren Kernzone“ entlang der A12 (Bezirke Imst, Innsbruck Land, Innsbruck, Schwaz und Kufstein) entladen oder beladen, wenn sich die Quelle oder das Ziel in der Kernzone befindet, gilt das Verbot nicht. Auch in der erweiterten Kernzone sind künftig Fahrten über die A 12 zulässig, wenn sie innerhalb dieser Zone beginnen und zugleich auch enden. Dies betrifft dem Land Tirol zufolge die Bezirke, Kitzbühel, Landeck, Lienz, Reutte und Zell am See sowie acht Regionen in Bayern und Südtirol. Damit ist das Verbots-Argument entkräftet, denn diese Fahrzeuge sind selbstverständlich mit Diesel unterwegs.
Wird die neue Ankündigung umgesetzt, hat das gravierende Folgen für den Warenverkehr auf beiden Seiten der Transportkette in den zunehmend weniger werdenden Zeitfenstern, die für den Transitverkehr noch verbleiben , betonen die Verbandsvertreter: „Sowohl auf deutscher wie auf italienischer Seite wird dadurch der Rückstau an Fahrzeugen dramatisch anwachsen. Nach aktuellem Stand der Verkehrsbeobachtung sind von den Maßnahmen etwa ein Drittel aller Schwer-Lkw betroffen, die in einem 24-Stunden-Zyklus den Transit in Tirol befahren.“ Dieser Verkehr könnte zwar in die Tagstunden verlagert werden – würde dann aber in dieser Zeit zu einer zusätzlichen Belastung führen, „beziehungsweise in den Flaschenhälsen des Tiroler Dosierkalenders gefangen sein“.
Wirkliche Alternativen wie die Verlagerung auf die Schiene sehen die Verbände aktuell nicht. „Erstens mangelt es an Kapazitäten im Kombinierten Verkehr und zweitens müssten die Lkw z. B. für die Verladung auf die Rollende Landstraße bis nach Wörgl kommen, was unter den neuen Regeln – mit noch längeren Staus an Tagen mit Blockabfertigung – fast nicht mehr möglich ist“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme.
Aus Sicht der Verbände ist dringend politisches Handeln gefordert, „um dem eigenmächtigen Tiroler Vorgehen zu begegnen, das weder durch den Stand der Technik gedeckt noch mit dem europäischen Prinzip des freien Warenverkehrs vereinbar ist – und dessen vorgebliche Ziele mehr als zweifelhaft sind.“ Sowohl auf Bundesebene wir auch auf europäischer Ebene gilt es seitens der Politik darauf hinzuwirken, dass eine Verkehrsachse von derartiger europäischer Bedeutung nicht zum Spielball der Interessen Tirols werden darf.
* Das Tiroler Nachtfahrverbot für Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen soll laut Tiroler Landesgesetzblatt gelten: grundsätzlich im Zeitraum 1. Mai bis 31. Oktober wochentags von 22 bis 5 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 23 bis 5 Uhr. Im Zeitraum 1. November bis 30. April beginnt es wochentags schon um 20 Uhr.