(28.03.2019)
Der LBS - Landesverband Bayerischer Spediteure e.V. sieht Unternehmen der Branche durch den Brexit erheblich belastet. Eine durchdachte, planvolle Vorbereitung wird durch das politische Taktieren unmöglich gemacht. LBS: „Ein Schalter-Umlegen am Tag eins wird es nicht geben.“
Die Anfragen von Medien und aus der Öffentlichkeit an den LBS häufen sich: „Wie bereitet sich Ihre Branche auf den Brexit vor?“ Eine ehrliche Antwort kann derzeit nur lauten: „Wir wissen bis heute nicht wirklich, worauf wir uns vorbereiten sollen.“ Da sowohl der Termin wie die Konditionen des Brexits bisher völlig offen sind, fehlen für unternehmerische Entscheidungen „alle relevanten Grundlagen“, so Sabine Lehmann, Geschäftsführerin des LBS – Landesverband Bayerischer Spediteure e.V.
Dies bedeutet aber nicht, dass sich die Branche dem Nichtstun hingibt. „Wir sind uns bewusst, dass ein Brexit die Mehrzahl der kleinen und mittelgroßen Unternehmen mindestens an einer sehr empfindlichen Stelle treffen wird: der Zollabwicklung“, erklärt Lehmann. Nur wenige große oder spezialisierte Firmen haben nach der Öffnung des Binnenmarkts entsprechende Fachbereiche und Fachpersonal vorgehalten. „Sehr vielen, die im Umgang mit innereuropäischen Zollformalitäten Bescheid wussten, fehlt heute entweder die Praxis oder sie sind längst im Ruhestand.“ Aber selbst wenn Unternehmen noch über Zoll-Expertise verfügten: „So lange keiner weiß, welche Regeln und Vorschriften gelten sollen, kann man weder Mitarbeiter schulen noch Software programmieren.“ Es ist daher davon auszugehen, dass zwischen dem Brexit-Stichtag und einer reibungslos laufenden Abwicklung von Transporten geraume Zeit verstreichen wird. Lehmann: „Ohne Übergangsfristen wird hier keine tragbare Lösung möglich sein.“
Schon jetzt stehen die Unternehmen der bayerischen Speditions- und Logistikbranche bei ihrer Brexit-Strategie in direktem und engem Austausch mit ihren Kunden. „Die jeweiligen Strategien orientieren sich – wie immer in der Logistik – an Umfang und Struktur der Dienstleistungen, die Auftraggeber abrufen“, erläutert Lehmann. „Damit haben die Unternehmen nicht erst jetzt mit dem Votum im Unterhaus begonnen, sondern arbeiten seit Monaten, in bestimmten Bereichen schon seit mehr als einem Jahr an entsprechenden Plänen. Wie es in einer global vernetzten Branche üblich ist, ist es dabei das Ziel, größtmögliche Effizienz mit größtmöglicher Flexibilität zu verbinden.“
Dennoch wird es auch hier nicht möglich sein, zu einem bestimmten Stichtag kurzfristig „den Schalter umzulegen und das ganze System umzupolen, dazu ist es zu komplex“, so Lehmann. „Es wird die ganze Erfahrung der Unternehmen brauchen, um in angemessener Zeit die dann erforderlichen, neuen Abläufe zum Laufen zu bringen.“ Auch wenn es vergleichbare Routinen bei der Abwicklung von Verkehren mit anderen Nicht-EU-Ländern gibt, können Transport- und Logistikprozesse dorthin doch auf jahrelang entwickelte und gefestigte Regeln aufbauen. „Die müssen für Verkehre mit Großbritannien erst wieder entstehen. Ein einfaches Zurück in den Status vor der Grenzöffnung in der EU ist nicht möglich“, erläutert Lehmann.
Eines zeigt sich jetzt schon deutlich: Alle Beteiligten werden sich darauf einrichten müssen, dass Transporte in das Vereinigte Königreich deutlich länger dauern werden und damit auch teurer werden. „Da ist es schon weit mehr als nur ein kleiner Lichtblick, dass die europäischen Gremien am 21. März 2019 ebenso wie die britische Regierung die gesetzlichen Grundlagen zur Sicherstellung des Straßengüterverkehrs zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich im Falle eines No-Deal-Brexit verabschiedet haben“, kommentiert Lehmann. Bis zum 31.12.2019 ist damit gesichert, dass die Straßentransporte zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU weiterhin mit Gemeinschaftslizenzen durchgeführt werden können. Als Notfall-Plan hätte man hier auf CEMT-Genehmigungen zurückgreifen müssen.
Von „Notfallplänen“, wie sie darüber hinaus es derzeit auf legislativer oder politischer Ebene überlegt und ausgefertigt werden, kann allerdings bei Speditionen und Logistikern nicht die Rede sein: „Denn vorbereitet zu sein darauf, dass etwas nicht so läuft, wie geplant, gehört zum A und O dessen, was hochqualifizierte Fachkräfte in unserer Branche jeden Tag mit an ihren Arbeitsplatz bringen“, sagt Lehmann. „Das ist gewissermaßen der Normalfall.“
So arbeiten derzeit die Zoll- und Export-Spezialisten in den Schwerpunkt-Unternehmen mit Kreativität und Hochdruck daran, aus dem bestehenden Regelwerk jene Vorschriften und Regelungen zu aktivieren, die sich gegenwärtig dafür eignen, Zeitverzögerungen und Reibungsverluste zu vermeiden – unabhängig davon, mit welchen Realitäten sie sich nach dem erfolgten Brexit auseinandersetzen müssen. „Sie tun das in dem Bewusstsein, dass Logistik nicht wegen des Brexits neu erfunden werden muss – und in der Erwartung, dass sich über kurz oder lang durch neue Verträge die Voraussetzungen wieder ändern werden.“ Dieses Anwendungswissen gehöre zum typischen Mehrwert, den Dienstleister aus dieser Branche ihren Kunden jederzeit liefern.
Der LBS weist zusätzlich darauf hin, dass zwar in der Öffentlichkeit derzeit jene Frachtmengen im Vordergrund stehen, die über die Straße zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU unterwegs sind, dass aber auch Schienen-, Schiffs- und Luftfracht von den Brexit-Folgen betroffen sind. „Wir werden sehen, ob und wieweit sich Verkehrsströme verlagern, weil zum Beispiel die bisher günstigsten Ports – egal ob für Schiffe oder für Flugzeuge – nicht mehr automatisch die vorteilhafteste Variante darstellen. Wo und wie sich Verschiebungen ergeben, lässt sich allerdings noch nicht zuverlässig voraussagen.“